Ungefähr 300 Meter nordwestlich von der U-Bahn-Station Gojo der Karasuma Linie in Kyoto, kreuzen sich 2 Straßen: die Matsubara-dori und die Shinmachi-dori. Genau dort findet man auf der südwestlichen Seite einen bescheidenen, aber wohlbehüteten Schrein. Man nennt ihn „Matsubara-Doso-jinja“.
Hier wird ein schintoistischer Gott, der Dosojin verehrt. Der Dosojin ist dem buddhistischen Gott, dem Jizo sehr ähnlich. Er steht normalerweise am Rande eines Dorfs, um das Eindringen böser Kreaturen zu verhindern.
Aus einem unbekannten Grund, wird der Dosojin oft mit sexuell aufgeladenen Symbolen oder Bildern visualisiert, z.B. einem Liebespaar, das sich umarmt und küsst oder einem männlichen Glied, das in den Himmel ragt. Über den Dosojin wird diese Geschichte überliefert.
Es gab in der Heian Zeit (794-1185) einen Priester, der „Domyo“ hieß.
Obwohl er aus einer vornehmen Familie stammte, schlug er eine religiöse Laufbahn ein. Nachdem er konzentriert und fleißig eine Ausbildung durchlaufen hatte, wurde er endlich Hohepriester. Seine Rezitation der Sutras war erstklassig. Es gab jedoch, für diesen vermeintlich keuschen Priester, eine unglaubliche Seite.
Domyo liebte Frauen. Er hatte damals eine enge Beziehung mit einer Waka-dichterin, Izumi Shikibu, die mit vielen Männern Abenteuer gehabt und darüber viele Waka-gedichte geschrieben hatte.
Eines Tages übernachtete Domyo wie üblich bei Izumi Shikibu. Nachdem sie sich leidenschaftlich geliebt hatten, schliefen sie einfach ein. Aber weil Domyo voller Energie mitten in der Nacht aufwachte, fing er an, ganze 8 Bände Sutras zu rezitieren. Kurz vor Ende des letzten Buches brach die Dämmerung herein.
Plötzlich spürte er, schon im Halbschlaf, dass jemand da war. Er fuhr auf und rief: „Wer ist da?“ „Ich bin nur ein alter Mann, der in der Nähe wohnt.“, sagte eine Stimme. Domyo setzte fort: „Was ist Ihr Begehr?“, der alte Mann antwortete: „Ich wollte nur Ihre Rezitation hören. Die Sutras, die ich heute gehört habe sind unvergesslich!“ Domyo konnte die wahre Absicht des Mannes nicht erfassen und fragte ein bisschen wütend: „Diese Hokke Sutras rezitiere ich jeden Tag. Ist die Rezitation heute besonders?“ Der alte Mann erklärte warum:
„Als Sie früher, nachdem Sie Ihren Körper gereinigt hatten, Sutras rezitiert haben, haben Götter, die mir zu heilig waren, wie der Bonten und der Taishakuten, Ihrer Rezitation gelauscht. Deswegen konnte solch ein Sünder wie ich mich weder Ihnen nähern, noch die Sutras hören.
Aber als Sie heute, ohne sich zu reinigen, Sutras rezitiert haben, haben es die Götter vermieden, sich Ihnen zu nähern. Daher konnte ich die Sutras neben Ihnen sorgenfrei hören. Diese glückliche Erfahrung werde ich mein ganzes Leben lang niemals vergessen.“
Vordergründig hat der alte Mann den Priester gelobt, aber was er wirklich meinte war, dass man sich unbedingt reinigen sollte, besonders nach dem Geschlechtsakt, bevor man Sutras rezitiert.
Die Sache ist, dass dieser alte Mann niemand anderes als der Dosojin war, der an der Ecke des Matsubara- Shinmachi-chos vergöttert wird.